Fassungslosigkeit und Kopfschütteln macht sich in der Politik breit, nachdem das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen gestern flächendeckende Fahrverbote für Dieselfahrzeuge, aber auch für alte Benziner beschlossen hat. In seltener Einigkeit haben Parteien und Verantwortliche in Kommune, Land und Bund die Schuldigen ausgemacht: die anderen.
Ganze 18 Stadtteile betrifft das Fahrverbot in Essen, das ab Juli 2019 in Kraft treten soll. Werdener können zunächst aufatmen, zumindest, wenn sie nicht durch einen dieser Stadtteile fahren müssen – oder über die A40, denn auch auf Teilstrecken der Autobahn durchs Stadtgebiet soll das Verbot greifen. Doch der Burgfrieden könnte auch im Essener Süden von kurzer Dauer sein: Denn mit einigen Teilstrecken der B224 steht die Velberter Straße nun unter gesonderter Beobachtung. Das Gericht hat die Bezirksregierung Düsseldorf verpflichtet, bis zum 1. April 2019 zu prüfen, ob der Stickoxid-Grenzwert dort eingehalten wird. Sollte dies nicht der Fall sein, könnten auch hier Fahrverbote drohen.
Die Verantwortlichen schieben sich indes gegenseitig den Schwarzen Peter zu: Für Oberbürgermeister Thomas Kufen sind die Verantwortlichen im Bund und Land, im Land, schaut man vor allem auf den Bund. Und der Bund? Schimpft über die EU und ihre Grenzwerte. Als hätte man vorher etwas getan, um sie zu verhindern.
Und wahlweise wird auch die Deutsche Umwelthilfe zum Schuldigen gemacht, schließlich wagte der gemeinnützige Verband ja zu klagen. Eine Petition im Internet will dem Verein gar die Gemeinnützigkeit aberkennen. Auch das Gericht selbst wird Ziel von Anfeindungen, das Urteil „absurd“ oder gar „weltfremd“ genannt. Das hat etwas von den Boten erschießen: Denn nicht der, der feststellt, das Recht gebrochen wird, hat doch Schuld am Rechtsbruch!
Nein, Schuld ist eine Verkehrspolitik in Bund, Land, aber auch in der Kommune, die vor allem die Autos und die Autoindustrie im Visier hat und bei der Infrastruktur für Rad, Elektromobilität oder einen attraktiven öffentlichen Nahverkehr nur widerwillig geschaffen wird. Die bislang geplanten Maßnahmen von Land und Kommune, um die Luft reiner zu bekommen, reichen längst nicht aus: Das jedenfalls hat das Gericht in seinem Urteil klargestellt.
Die Quittung dafür zahlen nun diejenigen, die auf ihr Auto angewiesen sind, für die der ÖPNV dank teils miserabler Taktung und dürftigem Streckennetz keine Alternative ist und die nicht das nötige Kleingeld haben, um sich ein neues Fahrzeug zu kaufen.
Die Hoffnungen der politischen Entscheider, die bislang bei dem Thema nur die Hände in den Taschen hielten, ruhen nun aufs Land NRW: Dieses will in Revision gehen. Doch sollten sich die Verantwortlichen nicht abermals auf die Hoffnung ausruhen, dass die nächst höhere Instanz die Fahrverbote einzukassieren.
Aber immerhin: Sollte im kommenden Jahr auch auf der Velberter Straße es zu einem Fahrverbot kommen, könnte das das Ende für den Last-Fernverkehr über die B224 durch Werden bedeuten. Dann kann man ja wieder kräftig übers Werdener Verkehrskonzept diskutieren…