Peters Weihnachts-Idee
Eine Weihnachtsgeschichte von Gabi Mett

Peter ging es richtig gut. Er hatte eine wunderschöne Wohnung passend zugeschnitten auf seine Bedürfnisse: Küche, ein großer Wohnraum mit Esstisch, Schreibsekretär und Fernsehsessel und ein Schlafzimmer. Ein großes Fenster gab den Blick frei auf seine kleine Terrasse mit Blumenkästen, einer großen Wiese und weiteren Wohneinheiten. Er wohnte Parterre, keine Stufen waren zu bewältigen, das Essen konnte er selbst kochen oder im Gemeinschaftssaal zu sich nehmengemeinsam mit den anderen Mitbewohnern.
Er lebte jetzt schon fünf Jahre hier, war nach dem Tod seiner Frau Wilma in die Nähe seines Sohnes gezogen. Das hatte alles seine Schwiegertochter in die Wege geleitet. Sie war da wirklich klasse. Sie hatte sich auch um diese Wohnung gekümmert, mit ihm gemeinsam die Möbel ausgewählt, die er sich für diesen letzten Lebensabschnitt wünschte, Erinnerungsstücke eingepackt, die ihm wichtig waren.
Einfach war es nicht, die Stadt, in der er weit über achtzig Jahre gelebt hatte, zu verlassen. Er war dort zur Schule gegangen, hatte seinen Beruf als Drucker mit Begeisterung ausgeübt. Auch Wilma stammte aus der Gegend. Ihr Sohn Volker war dort zu Schule gegangen. Sie hatten sich einen netten Freundeskreis aufgebaut, Feste wurden gefeiert, Reisen unternommen und nach seiner Pensionierung hatte er sich in vielen Bereichen ehrenamtlich engagiert.
Er war seinem Beruf treugeblieben und hatte sich um eine Zeitung für eine Kirchengemeinde gekümmert. Da war er für das Layout und den Druck zuständig gewesen. In den letzten Jahren war aber nicht nur Wilma gestorben, auch die Freunde verließen nach und nach diese Welt. Und so war er letztendlich mehr alleine als in Gesellschaft. Er merkte selbst, dass ihm das nicht gut tat. Die alltäglichen Arbeiten gingen ihm zunehmend schwerer von der Hand. Das stimmte ihn nicht sehr heiter.
Es war darum ein leichtes, ihn zu einem Umzug zu überreden. Seine Kinder wollten Vatti Bärchen, so wurde er liebvoll genannt, näher bei sich haben. Er hatte kein Problem gehabt, sich in dieser neuen Stadt einzuleben.
Alles war gut geregelt, er hatte sich in dieser Altenwohnung sofort eingelebt, hatte wiederum Aufgaben übernommen, die ihn in Kontakt mit den anderen Bewohnern brachten. Die Stunden auf der Terrasse konnte er wirklich genießen. Von Sohn und Schwiegertochter wurden gemeinsame Reisen geplant. So sah er noch ein bisschen von der Welt, auch im hohen Alter von 94 Jahren.
Bei seinem Sohn war alles gut gelaufen. Er konnte wirklich zufrieden sein. Volker war seinen Weg gegangen, hatte eine Lehre absolviert, worüber er damals als Vater sehr glücklich war. Dann folgte ein Studium der Rechtswissenschaft. Nach Abschluss des Studiums hatte er sich als Rechtsanwalt selbstständig gemacht. Seine Freunde nannten ihn heimlich den Anwalt der Armen.
Da war ganz klar was vom sozialen Engagement des Vaters zu spüren. Das machte Peter manchmal doch ein wenig stolz. Schwiegertochter Renate war selbst ebenfalls beruflich sehr engagiert, kümmerte sich trotzdem liebevoll um Enkel Sven, auch wenn nicht immer alles so einfach unter einen Hut zu bringen war. Die Familie hatte ihn und Wilma regelmäßig besucht.
So hatten sie von Ferne und manchmal auch aus der Nähe die Entwicklung von Sven verfolgen können. Er hatte seinen Weg gefunden, beruflich und privat. Der Familientradition folgend hatte er erst eine Lehre gemacht, um dann auf dem zweiten Bildungsweg Maschinenbau zu studieren. Das Studium hatte etwas länger gedauert als geplant. Nichtsdestotrotz hatte er den Abschluss geschafft und eine interessante Stelle in einem mittelständigen Betrieb brachte ihm ein gutes Auskommen.
Er war sehr viel in Deutschland und auch den Nachbarländern unterwegs. Bettina, seine Frau, war ausgebildete Krankenschwester, hatte aber die ersten Jahre, als sein Urenkel Timo noch klein war, die Familie versorgt. Nun war sie im Krankenhaus erneut in der Pflege tätig. Schichtdienst war angesagt. Timo war mit seinen 13 Jahren ein kleiner Rabauke. Die Schule, er ging aufs Gymnasium, ließ ihn relativ kalt. Er lernte gerade so viel wie er benötigte, um nicht sitzen zu bleiben. Das hatte bisher ganz gut geklappt. Ansonsten war er mit seinen Freunden unterwegs. Das meiste lief über die sozialen Medien, aber da kannte Peter sich als Uropa nicht mehr so mit aus.
Er war zwar bewandert in der Bedienung von Handy und Computer. Man hatte ihm auch erklärt, wie die WhatsApp Gruppe der Familie zu bedienen war, aber er merkte, dass ihn das nicht so richtig begeistern konnte. Na ja, auf jeden Fall bekam er so immer die neuesten Nachrichten mit.
Wenn er so auf seine Lebensjahrzehnte zurückschaute, kamen ihm die Höhen und Tiefen, und davon hatte es nicht wenige gegeben, wie kleine Staubkörner in einem großen Universum vor. Die Erinnerungen schmolzen zusammen und zurück blieben die vielen wunderbaren Augenblicke.
Melancholie schlich sich trotzdem manchmal ein. Es konnte jeden Tag zu Ende gehen, auch wenn er körperlich und geistig noch sehr fit war. Dies wurde ihm immer besonders deutlich, wenn es auf Weihnachten zuging und die Familie in den Mittelpunkt rückte.
Natürlich wurde er immer mitbedacht, aber alle Wünsche zu diesen Tagen unter einen Hut zu bringen, war weiß Gott nicht einfach. Am liebsten wäre er mit Volker und Renate in ihr kleines Ferienhaus in die Niederlande gefahren. Dort war es so schön ruhig. Man konnte die Tage genießen und selbst mit dem Rollator war ein Gang zum Meer immer möglich. Nichtsdestotrotz wollten doch immer alle an einem Weihnachtstag mit Peter zusammen feiern.
Das war schön und anstrengend zugleich. In diesem Jahr würde Sven mit Bettina und Timo allerdings nicht dabei sein. Sie hatten seit langer Zeit eine Reise in die österreichischen Alpen geplant. Es war der erste gemeinsame Urlaub seit langer Zeit. Schade, es war doch immer sehr lustig mit Timo gewesen, auch wenn er den Eindruck hatte, dass sein Urenkel nicht wusste, was er mit diesem alten Mann anfangen sollte. Die Gespräche hatten sich schnell erschöpft, und so blieb oft nur ein gutmütiges zur Kenntnisnehmen. Peter hatte immer sehr großzügig die Familienmitglieder finanziell unterstützt, und zu Weihnachten erhielten alle einen üppigen Briefumschlag für besondere Wünsche.
Das galt natürlich auch für Timo. Diese gefühlte Sprachlosigkeit, die seinen Urenkel betraf, ging ihm allerdings nicht aus dem Kopf. Was könnte er denn da tun? Nun, er hatte genügend Zeit, sich etwas zu überlegen, und so saß er in seinem Lieblingssessel und schaute in den Winterhimmel.
Es sollte etwas ganz besonderes sein, nein, nichts Materielles. Erziehen wollte er ihn auch nicht oder gute Ratschläge geben. Es sollte sehr persönlich sein. Dann dämmerte langsam eine Idee, und sie wurde von Tag zu Tag immer deutlicher.
Peter suchte in seinen Unterlagen nach einem Brief, den Wilma ihm in den ersten verliebten Tagen geschickt hatte. Dieser Brief war nicht nur wunderschön mit Füllfederhalter und blauer Tinte geschrieben. Dieses Blatt Papier wurde so geschickt gefaltet, dass es gleichzeitig ein Briefumschlag war.
Man musste dann nur noch einen kleinen Punkt Kleber anbringen, dann war ein ganz besonderer Brief fertig. Tatsächlich wurde er schnell fündig. Er schaute sich die Faltung genau an und probierte es selbst einmal aus, veränderte die Maße ein wenig und war dann sehr zufrieden.
Es war gar nicht so schwer. Toll! Wie aber nun weiter? Die Adventszeit hatte noch nicht begonnen, er könnte doch 24 dieser feinen Briefe falten und dann… Er nahm Stift und Papier zur Hand und notierte: Schau mal fünf Minuten in den Himmel. Überrasche Deine Eltern mit einem kleinen Gedicht. Hast Du schon mal Uromas Pfannkuchen gebacken? Hier ist das Rezept! Mit wem fühlst Du Dich besonders wohl? Sag ihm das doch einfach mal! Geh spazieren und schau Dich nach den Vögeln um.! Sammle einen Tag gute Nachrichten! Lass Dich mal richtig nass regnen und sing dabei laut vor Dich hin und geh anschließendunter die Dusche! Steh mal so früh auf, dass Du den Sonnenaufgang anschauen kannst… Ja, da kamen ihm doch noch eine ganze Reihe weiterer Ideen. Er notierte alle und wählte dann die interessantesten aus.
Jede Anregung wurde von ihm mit dem Füllfederhalter in schönster Schreibschrift auf altes Briefpapier geschrieben, gefaltet und verschlossen. Die Briefchen lagen nun vor ihm auf seinem Tisch. Er nummerierte sie von 1 bis 24 durch und packte sie in einen weiteren Umschlag. Nun musste er noch eine Anleitung schreiben, und dann konnte die Post auf den Weg gehen. „Dieser Adventskalender ist ein ganz besonderer. Er ist von einem Menschen ausgedacht worden, der Dich sehr mag. Wer dieser Mensch ist, wird an dieser Stelle nicht verraten. Jeden Tag kannst Du einen Brief öffnen. Du findest darin eine kleine Anregung, etwas zu tun, auszuprobieren, zu entwickeln. Dafür brauchst Du nicht viel Zeit. Mach es einfach! Denk nicht lange drüber nach! Wenn Du den letzten Brief geöffnet hast, ist Heiligabend. Nimm Dir eine Stunde Zeit und überlege, was da alles so passiert ist in den vergangen 24 Tagen. Was hat Dir besonders gut gefallen? Wo hattest Du keine Lust zu? War es dann trotzdem interessant? Du findest in diesem Paket noch ein kleines Heft, in das Du Deine Erfahrungen eintragen kannst. Wenn Du immer etwas notiert hast, kannst Du es nach Weihnachten zur Seite legen und vielleicht im nächsten Jahr wieder öffnen. Oder Du kannst es auch in zehn Jahren noch einmal lesen und die Anregungen erneut angehen. Hoffentlich hast Du damit viel Spaß. Wenn es Dich aber gar nicht interessiert, dann verpacke alle Teile wieder in einem neuen Umschlag und gib das Geschenk weiter.“
Peter packte alles zusammen und brachte den Brief zur Poststation im Haus. Er war sehr gespannt und freute sich wie ein kleines Kind über diese Idee. Heiligabend saß er dann mit Volker und Renate beim Abendessen, als sich Sven über Skype meldete. Nach den üblichen Wünschen zu diesem Festtag wurde auch Timo gerufen, um den Großeltern und dem Uropa guten Tag zu sagen. Er nahm Vatti Bärchen fest in den Blick und fragte: „Hast Du schon mal fünf Minuten in den Himmel geschaut? “ Es wurden die unterhaltsamsten Minuten zwischen Peter und seinem Urenkel, die man sich denken konnte.