Wenn Sie etwas Zeit haben — am TddE
Ich könnte ja … stundenlang erzählen, was mir zum Tag der deutschen Einheit (TddE — klingt nach einem alten Schnellzug) einfällt. Das geht wohl jedem so. Aber wenn Sie gerade an diesem Feiertag ohne Gottesdienst etwas Zeit übrig haben, einige kleine Geschichten, die auch für andere interessant sein könnten: Ich erspare ihnen die seltsamen Erlebnisse vor der Wende, als ich schon als Journalist Ostberlin besuchte und ab Friedrichstraße den ganzen Tag begleitet wurde; zusammen mit einem Kollegen, Stefan Wette, einem ehemaligen Werdener Gmynasiast.
Allerdings war der wie zufällig aufgetauchte „Kollege“ aus Ostberlin, der nicht von unserer Seite wich, alles andere als ein Journalist; hatte keine Ahnung von dem Metier.
Doch die stärksten Eindrücke hatte ich vom dreijährigen Journalistik-Weiterbildungsstudium, das ich ab 1989 in Berlin an der FU absolvierte. Wir kamen mitten hinein in die Zeit der Öffnung der Mauer, und hatten mit Blick auf die Mauer, die gerade unter den zigtausend Hämmern war, ein Gespräch mit einem ehemaligen Bauarbeiter, der einst die Mauer errichtet hatte. Mit einer gewissen Zufriedenheit blickte er auf die „Mauerspechte“ und meinte: „Ich geh nicht näher heran, die werden wohl alle sterben, wir haben damals so viel Asbest verbaut.“ Ob wahr oder nur Wut, das habe ich nie nachrecherchiert.
Wir Studenten hatten etwas später einen Besuch im ehemaligen Berliner Zeuihaus (Arsenal), und damals noch Museum der DDR. Ein Kollege wollte unbedingt die inzwischen geschlossene Honecker-Ausstellung sehen, die noch kurz vor dem Mauerfall die Zukunft der DDR in rosaroten Farben geschildert hatte. Der Museumsleiter weigerte sich, eine Assistentin verschwand und kam mit der Nachricht, dass wir sehr wohl die Ausstellung sehen dürften, und sie hätte nun zu sagen; und nicht ihr bisheriger Chef. Die Ausstellung war in der Tat höchst seltsam bis vergnüglich vor diesem Hintergrund. – Das weitere Schicksal des Hauses haben wir damals nicht recherchiert, was wohl ohne Internet auch schwieriger als heute gewesen wäre. (Was heute Wikipedia dazu sagt, ist im Anhang zu lesen)
Wir pendelten während des Studiums nun ständig zwischen den noch nicht zusammenwachsenden Teilen der Stadt, erlebten die Service-Wüste in der Tat eher als Absurdum. Es tat sich Spannendes in vielen Richtungen an der Oranienburger Straße. Ich wohnte während eines Studienaufenthaltes im Osten in einer besetzten Wohnung, kaltes Wasser im Dezember, aber offenbar keine Gefahr einer Räumung.
Mit den Osterberlinern war es wie mit allen Menschen, die ein Mensch trifft: Näher kennengelernt waren die Unterschiede verschwunden, obwohl beide Seiten sie gerne suchten und herauspulten. Und im Alltag oder in den Geschäften gab es schon Unterschiede: siehe oben der Bauarbeiter, ein netter Kerl, und doch eine bisher nicht gekannte innere Wut glühte dort. Die Skepsis vor dem Kapitalismus war im Osten groß, und wir als Journalisten gaben ihnen in vielen Punkten recht. Unser Prof scherzte: „Großmut der Gewinner“.
Am vergangenen letzten September-Wochenende 2013 brachte ich Sohn Thorben (20 Jahre) mit Möbeln zum Studium nach Halle; seine Kommilitonen sind alle nach dem Mauerfall geboren; aber unsere Jahrgänge, die schauen doch, trotz nun etlicher Aufenthalte in den neuen Bundesländern: auf schöne neue Autobahnen, riesige Windparks (haben die alle neuen Wolkenschaber abbekommen? Sorry) und kauft vor Ort bei allen Ketten ein (Ikea), die aus dem Westen stammen. War das Indianerland für den Westen? Immerhin werden wir von Ostdeutschen gut repräsentiert: der unfassbar souveräne Gauck als Präsident und die unfassbare Angela als Kanzlerin; nun Richtung 12 Jahre. „Kanzler bleiben wollen unbedingt“ scheint seit Kohl eine ansteckende Krankheit in dem Amt zu sein, die eigene politische Einstellungen vernichtet und schon Schröder seine peinlichste Stunde bescherte. Wie wird einst Angela gehen oder gegangen werden?
Immerhin: Kohl hat die schnellstmögliche Wiedervereinigung durchgesetzt. Damals habe ich es nicht verstanden; heute muss ich sagen: War wohl irgendwie gut so.
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Wikipedia zum Zeughaus: Im September 1990, unmittelbar vor der Deutschen Wiedervereinigung, wurde es (Museum für Deutsche Geschichte (MfDG))von der letzten Regierung der DDR aufgelöst. Danach ging das repräsentative Gebäude an das 1987 von der Bundesregierung und der Stadt Berlin (West) gegründete Deutsche Historische Museum (DHM) über, die umfangreichen Bestände des MfDG wurden übernommen, die meisten Mitarbeiter des Museums hingegen nicht. Nach mehrjährigen Sanierungsarbeiten wird das Zeughaus seit 2003 wieder vom Deutschen Historischen Museum genutzt. Die Eröffnung der neuen Dauerausstellung erfolgte am 2. Juni 2006.